Die Letzten von Madeleine Prahs

September 13, 2017


(Original: "-"/ 2017) dtv Verlag, Übersetzer/in:-, 304 Seiten, gebunden★★★() 3 bis 4 Sterne
"Ich als Haus würde Ihnen Widerstand empfehlen!
Es ist Herbst in einer Großstadt: Das letzte, unsanierte Haus in der Hebelstraße wird »leergewohnt. Karl Kramer, 55 Jahre alt, Hausmeister, Elisabeth Buttkies, 72, Deutschlehrerin a. D., und Jersey, 28 Jahre, Studentin in Teilzeit, sind noch übrig – und sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Die Welt vor der Tür meint es nicht immer gut mit ihnen, so glauben sie, aber drinnen pflegen sie ihre Wunden und streicheln die Narben. Bis der Brief des neuen Hauseigentümers kommt: Auszug. Kernsanierung. Endgültig. Der Kampf der Bewohner um ihr vermeintlich letztes Stückchen »Ich« beginnt. Man verbarrikadiert sich, Katzen werden vergiftet und Perücken abgefackelt – fast ist es zu spät, doch dann schließen sich „die Letzten“ zusammen. Am Ende blühen die Geranien wieder. Es ist Frühling. Drei sind glücklich. Und einer ist tot."


MEINE MEINUNG | FAZIT

"Wir befinden uns in der Hebelstraße 13. Es ist Montag, der langweiligste Tag der Woche. Eben war der Briefträger da, und damit nimmt das Unheil seinen Lauf.“  S.12
  
Die Geschichte beginnt recht überschaubar und normal. Drei menschliche Schicksale, die sich als Träumereien gemischt mit den harten Fakten des Lebens entpuppen. Drei Lebenswege, die sich zunächst nur dadurch kreuzen, weil die drei Figuren und Protagonisten in demselben Haus wohnen.
Es wird anschließend zunehmend kurioser und makaberer. Das Haus bekommt eigene Kapitel und Sprechanteile, gibt sich als Regisseur des Ganzen aus und schließlich endet alles in einem regelrechten Verwirrspiel.
Eines musste ich dem Buch demnach durchaus lassen: Zum Ende hin wird die ganze Sache deutlich spannender und verrückter, als der Anfang vermuten lässt.
Dem Leser werden drei Personen vorgestellt, die sich in einem anderen Lebensalter befinden und mit anderen Sorgen zu kämpfen haben. Es sind aber Ängste, die man als Leser sehr gut nachempfinden kann. Ins Auge sticht aber sofort, dass alle eine sehr aufweckte Seite an sich haben und sie allesamt ziemlich "frech" daherkommen. Vorprogrammiert sind also die Streitigkeiten unterhalb der Mieter. Dennoch entwickelt sich das Ganze auf sehr spezielle Weise weiter. Die Figuren beginnen natürlich öfter miteinander zu kommunizieren und lernen sich nach und nach besser kennen. Allianzen scheinen sich zu bilden. Zugegeben, einige Stellen fand ich durch scheinbar gewollte "Slapstick"-Momente etwas zu oberflächlich, allerdings hat sich die Entwicklung der Geschichte und der Figuren entgegenwirkend sehr positiv ausgebaut. Jedes Kapitel geht zwar auf die Situation des einzelnen Mieters ein, greift aber auch die Blickwinkel der anderen auf und wird so zu einem Gesamtbild, welches sich der Leser sehr gut vorstellen kann und wodurch die Figuren auf den wenigen Seiten etwas mehr Tiefe bekommen.
Mich persönlich hat wohl die Geschichte von Elizabeth Buttkies am ehesten "interessiert" und unterhalten. Obwohl sie unfassbar eigen, schusselig und deutlich neben der Spur ist, sorgt sie für den meisten Vorantrieb. Ebenso fand ich die zeitgleich ernste Thematik, hinsichtlich ihres Zustandes, recht lesenswert.

"Dann löschte sie das Licht, legte sich zurück auf das Bettsofa, das Mondlicht schien durch die Gardine, es war still, nur das Ticken der Uhr war zu hören, und sie fragte sich, wann diese Kellerkinder endlich begreifen würden, dass das Leben immer ein wenig kleiner und dreckiger war als im Prospekt angegeben.S.23

Was die Geschichte aber wohl wirklich eigen- und einzigartig macht ist die Darstellung und die Personifizierung des Hauses selbst, in dem die Mieter wohnen.
Tatsächlich hatte ich mir die Verteilung des "Sprechanteils" des Hauses durchaus größer vorgestellt. Lediglich die Anfangs- und ich glaube auch Endkapitel eines jeden größeren "Blocks" werden durch das Haus übernommen, aber auch das finale Kapitel lässt sich dieser besondere Erzähler dann nicht nehmen. Und dieses Kapitel hat für mich das Buch noch etwas "wertvoller" gemacht, weil dort gezielt mit den makaberen Elementen der Geschichte und dem Leser gespielt wird.
Das sorgt durchaus für ein wiederum größeres Interesse beim Leser, sich den Inhalten zuzuwenden und noch einmal zu überlegen, in wieweit die Geschehnisse eine Wahrheit enthalten und in wieweit dies auch überhaupt relevant ist.
Tatsächlich habe ich den Großteil des Buches gedacht, dass es sich um eine ganz nette Geschichte handelt, die zwar ab der zweiten Hälfte deutlich "schlimmer" wird, die aber dennoch etwas "Essentielles" nicht aufgreift, was den Leser wirklich beeindruckt. Das letzte Kapitel hat mich aber völlig überrascht und das auf positive Weise, jedoch weiß ich nicht ganz, ob dadurch der etwas mittelmäßige Start völlig davon überlegt werden konnte.
Grundsätzlich thematisiert das Buch aber wunderbar den Prozess der Veränderung und auch der Angst davor.

"Seit einigen Minuten schon starrte Kramer, aus welchen Gründen auch immer, in den Dunstschleier über der Ampel - als sei dort oben vor Kurzem ein Paralleluniversum entdeckt worden, das es wert wäre, näher betrachtet zu werden." S. 155


Drei Bewohner eines alten Hauses und das Haus selbst erzählen eine Geschichte. Dabei kommt eine sehr menschliche, aber auch absurde, wie auch teilweise makabere Handlung heraus, die am Ende eine Gratwanderung zwischen Fakt und Fiktion bereithält und dem Leser komplett einen persönlichen Blickwinkel überlässt, was diesen Wahrheitsgehalt anbelangt. Hat mich im Großen und Ganzen wirklich gut unterhalten, auch wenn mir einige "Witze" zu platt oder zu gewollt erschienen und mich das Ende deutlich stärker überzeugen konnte, als der Anfang. Sicherlich aber für alle gut geeignet, die auf skurrile Charaktere stehen, die ein loses Mundwerk haben und sich nicht davor scheuen in absurde Situationen zu geraten.

Vielen Dank an den dtv Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!


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